Beten ist der elementarste, tiefste und innerlichste Lebensvollzug des Menschen, ganz einfach und deshalb so schwer. Die Bibel erzählt die Geschichte einer Liebe, einer großen, unsterblichen Liebe zwischen Gott und Mensch, Mensch und Gott. Im Gebet realisiert sich diese Liebe. Es ist ihre Konkretion. Man muß sich einlassen. Der unbekannte und unerkennbare Gott, der sich in Jesus erkennbare Gestalt gegeben hat, zeigt sich, offenbart sich als letzte Realität. Er öffnet unseren Geist für das Erkennen einer anderen Dimension. Der Beter betritt einen anderen Raum, weniger sichtbar, aber nicht weniger real.
Obwohl ich bete, erweist und beweist sich Gott in solchem Beten als der Aktive, Wirkliche, Liebende. Ich bin der zuerst Geliebte. Ich bin sein Geschöpf. Ich empfange eine neue Identität. Indem ich mich ganz in den göttlichen Bereich hineinziehen lasse, werde ich ganz Mensch. Ich werde befreit zur Liebe. Nun kann ich lieben: Gott, meinen Nächsten, alle Mitgeschöpfe.
Gebet hat viele Ausdrucksformen. Nicht die Form entscheidet darüber, ob ein Gebet echt oder nur Selbstgespräch ist, sondern der Vollzug. Die tiefste Form des Gebetes mündet in die zustimmende, offene, zweckfreie, lobende Bejahung Gottes: Gott um Gottes willen. In der Liturgie, der Eucharistie, im Psalmgebet, in der Kontemplation, im Schweigen. Aber auch Denken kann Beten sein: empfangene Einsicht, geschenkte Erkenntnis, liebende Beziehung zwischen Erkennendem und Erkanntem.
Indem unser alltägliches Realitätsgefühl auf den Kopf gestellt wird, werden wir auf die Füße gestellt: Wir finden die Basis, auf der wir in Wirklichkeit stehen, stehen dürfen und stehen können: Nicht der Mensch ist die Mitte der Welt, sondern Gott. Er ist das A und das O, der Anfang und das Ende, Ursprung und Ziel. Wenn wir beten, lassen wir uns auf diesen Umsturz der Realität ein: Ein Weg der Verwandlung und Erneuerung. Jeden Tag beginnt er neu.